Glück und Selbstkontrolle
Der österreichisch-amerikanische Psychologe Walter Mischel hat 1970 ein sehr bekanntes Experiment mit Kindern im Alter zwischen 4 und 5 Jahren durchgeführt. Mischel bot diesen Kindern ein Marshmallow an, erklärte ihnen aber auch, dass er den Raum verlassen würde und sie, wenn das Marshmallow dann noch da wäre, wenn er wieder käme, ein zweites als Belohnung erhalten würden. Daraufhin verließ er für ca. 15 Minuten den Raum. Nach seiner Rückkehr erhielt das jeweilige Kind die zweite Leckerei .... oder eben nicht.
Wie lange können wir Versuchungen widerstehen? Was bringt es und wie hoch ist der Preis?
Auf YouTube gibt es eine Reihe von sehr unterhaltsamen Videos, wie Kinder versuchen, sich selbst davon abzuhalten, der Versuchung nachzugeben. Mischel führte außerdem zwei Nachfolgestudien 18 und 20 Jahre später durch und es zeigte sich, dass jene Kinder, die in der Lage waren, der Versuchung länger zu widerstehen, erfolgreicher waren, bezogen auf ihre Noten und diverse andere Kriterien.
Es sei kurz angemerkt, dass es, wie in der Psychologie üblich, Kritik an Mischels Experiment bzw. an den Schlussfolgerungen gab. So zeigte eine Replikationsstudie, die auch nach sozioökonomischen Kriterien ausgewertet wurde, dass Kinder aus sicheren Umwelten länger aushielten, als Kinder aus unsicheren Lebensräumen. Die Studienautoren schlossen daraus, dass es sich nicht um einen Mangel an Willenskraft handelte, der die Kinder dazu bewegte, die Süßigkeit sofort zu essen, sondern die Lebensumstände, also die Sozialisation, für die unterschiedlichen Ergebnisse verantwortlich wären. Eine spätere Untersuchung zog auch die Erkenntnis in Zweifel, dass Belohnungsaufschub im Alter von 4-5 Jahren sich später auf den Erfolg auswirkt.
Wir, die wir unser Geld nicht über die Anzahl von akademischen Papieren finanzieren und daher weniger genötigt sind, koste es, was es wolle, etwas zu veröffentlichen, können uns überlegen, was hier plausibel ist. Selbstverständlich haben die Rahmenbedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, darauf, ob sie eine etwas kleinere Belohnung gleich oder eine etwas größere, später konsumieren, maßgeblichen Einfluss. Wenn das Kind bisher gelernt hat, dass die Welt ein unsicherer Ort ist und Erwachsenen nicht zu trauen ist, ist es sehr klug, nach der Methode „take the money and run“ zu agieren. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Kind aus besseren sozialen und familiären Verhältnissen tatsächlich mehr Willenskraft als Selbstkontrolle hat, denn diese ist lernbar. Wieder einmal liegen klassische Wissenschaftler mit ihrer zu einfachen Ursache-Wirkungs-Annahme falsch, denn mit höchster Wahrscheinlichkeit handelt es sich wieder einmal um ein Bündel an Ursachen.
Auch die Annahme, dass Kinder die mehr Selbstkontrolle haben, also eine höhere Frustrationstoleranz besitzen, erfolgreicher sind, ist ziemlich einfach nachvollziehbar und wir können getrost annehmen, dass die Studie, die das zu widerlegen versucht, indem sie Erfolg mit Kapitalakkumulation gleichsetzt, methodisch fragwürdig ist. Erfolg ist mehr als Geldanhäufung. Kinder, die es besser schaffen, Dinge, die wenig unterhaltsam sind, wie für Prüfungen und Schularbeiten zu lernen, statt Fußball oder Videospiele zu spielen, werden vermutlich bessere Noten haben, was wiederum hilfreich für eine schulische Karriere ist.
Was lernen wir also aus den Studien von Mischel und seinem Team für unser Leben? Einerseits lernen wir, wie wichtig schon die ersten Lebensjahre sind, wenn es darum geht, grundlegende psychische Fähigkeiten zu entwickeln. Andererseits haben Studien unter anderem von Roy Baumeister, der sich mit den Konzepten von Willenskraft und Selbstkontrolle beschäftigt, gezeigt, dass wir auch später, im Erwachsenenalter, noch durchaus in der Lage sind, diese Fähigkeiten zu trainieren und zu entwickeln.
Wenig überraschend hängen diese auch mit unserem Glück zusammen. Menschen mit höherer Selbstdisziplin sind im Durchschnitt glücklicher. Ich spreche hier nicht von selbstkasteienden Asketen und rigiden Miesepetern, sondern von Menschen, die wissen, wann sie sich „zusammenreißen“ müssen, um Deadlines zu halten, ihre Projekte abzuschließen, regelmäßig Sport zu betreiben, sich gesund zu ernähren. Dann kann man getrost auch einmal über die Stränge schlagen.
Was Sie genau tun können, um Ihre Selbstkontrolle aktiv zu verbessern, erkläre ich im nächsten Post. Hier schon ein kleiner Tipp:
Ein Zitat, dessen Ursprung ich nicht ermitteln konnte, sagt: „Lehre den Menschen erst die Regeln und dann lehre sie, wann sie diese brechen müssen“. Die Reihenfolge ist dabei sehr wichtig!